Rechtsanwaltskanzlei
Matthias Teichner
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Tätigkeitsschwerpunkt: Arzthaftungsrecht und Medizinrecht
 
 
Strafanzeige? Meine Empfehlung: Finger weg davon!

Unter Patientenanwälten gilt die Strafanzeige
als anwaltlicher Kunstfehler.

Die ärztliche Falschbehandlung stellt in der Regel sowohl im zivil- wie auch im strafrechtlichen Sinne eine Körperverletzung dar. Deshalb besteht stets die Möglichkeit, neben der Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen den Vorfall gleichzeitig gegenüber der Polizei oder sogleich der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Anzeige zu bringen. Darüber hinaus kann sog. Strafantrag gestellt werden, was u.a. zur Folge hat, dass man über den Ausgang des Ermittlungsverfahrens informiert wird.

Vor dem Jahre 1982, genauer gesagt: vor der Entscheidung des VI. Zivilsenates des Bundesgerichtshofs vom 23. November 1982, in der dem Patienten erstmals und grundsätzlich das Recht auf Einsichtnahme in die von einem Arzt oder einem Krankenhaus über ihn angefertigten Unterlagen zugesprochen wurde, war die Strafanzeige und der Strafantrag häufig das einzige Mittel, um mit Hilfe eines Rechtsanwaltes im Laufe des Ermittlungsverfahrens in die ärztliche Dokumentation Einblick zu nehmen. Die Ärzteschaft hatte bis dahin überwiegend die Auffassung vertreten, bei den Aufzeichnungen würde es sich um ihr persönliches (geistiges) Eigentum handeln, weshalb dem Patienten kein Einsichtsrecht in diese Unterlagen zustünde. Die BGH-Entscheidung hat in diesem Zusammenhang Klarheit geschaffen, wobei gleichzeitig festgestellt wurde, dass das Recht des Patienten auf Einsichtnahme in die ärztlichen Aufzeichnungen mit einer entsprechenden Pflicht der Ärzteschaft zur Dokumentation einhergeht; denn das Recht auf Einsichtnahme macht nur dann Sinn, wenn erwartet werden darf, das sich der wesentliche Ablauf der Behandlung dort auch tatsächlich (schriftlich) niedergelegt findet.

Die Notwendigkeit, über den Umweg einer Strafanzeige Einblick in die ärztliche Dokumentation zu nehmen, besteht also grundsätzlich seit der erwähnten BGH-Entscheidung aus dem Jahre 1982 nicht mehr. Gleichwohl könnte man als - womöglich erheblich und auf Dauer - Geschädigter das Bedürfnis verspüren, auf das schadenstiftende Verhalten des verantwortlichen Arztes auch mit einer Strafanzeige zu reagieren; dies dann mit dem Ziel bzw. der Erwartung, dass auf diese Art und Weise der Arzt persönlich zur Rechenschaft gezogen wird.

Ein in Arzthaftungssachen erfahrener eingeschalteter Rechtsanwalt wird indes grundsätzlich von der Erstattung einer Strafanzeige abraten.

Dies selbstverständlich nicht ohne Grund; denn eine Strafanzeige führt dazu, dass in den meisten Fällen im Auftrag der zuständigen Staatsanwaltschaft ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt wird. In dieser Konstellation besteht aber das erhöhte Risiko, dass ein sog. Kollegenschutzgutachten erstellt wird; der Sachverständige ist sich in einem solchen Fall von vornherein darüber im Klaren, dass das Gutachten von einem Staatsanwalt gelesen wird und als maßgebliche Entscheidungsgrundlage dafür dient, sich für oder gegen eine Anklageerhebung zu entschließen. Deshalb wird ein im Auftrag einer Staatsanwaltschaft tätig gewordener Sachverständiger mit der Feststellung einer Falschbehandlung eher zurückhaltend umgehen. In einem gewissen Maße muss hierfür sogar Verständnis aufgebracht werden, denn für den Sachverständigen ist es als ein auf demselben Fachgebiet Tätiger von Fall zu Fall durchaus nachvollziehbar, wie es zur Falschbehandlung kommen konnte. Womöglich ist dem Sachverständigen sogar selber in der Vergangenheit einmal derselbe oder ein ähnlicher Fehler unterlaufen, ohne dass er entdeckt wurde. Zumindest aber wird der Sachverständige mit der Befürchtung konfrontiert, dass ihm selbst oder einem seiner Mitarbeiter demnächst derselbe Fehler unterläuft. Hiermit läßt sich erklären, warum so mancher Sachverständiger Schwierigkeiten damit hat, einem Fachkollegen einen Fehler zu bescheinigen. Dies gilt in einem besonderen Maße bei der Begutachtung im Auftrag einer Staatsanwaltschaft oder eines Strafgerichtes.

Nach allem kann - auch aus persönlicher Erfahrung heraus - in einem Arzthaftungsfall grundsätzlich von der Erstattung einer Strafanzeige nur abgeraten werden. Dies auch deshalb, weil Ermittlungsverfahren in der Regel sehr viel Zeit (Jahre!) in Anspruch nehmen und die Verhandlungen über eine (zivilrechtliche) Schadenregulierung in dieser Zeit häufig ruhen, zumindest aber ins Stocken geraten. So sind z. B. die Durchführung von Verfahren vor der Schlichtungsstelle für Arzthaftfpflichtfragen in Hannover bis zum Abschluss eines Ermittlungsverfahrens satzungsgemäß nicht möglich. Schließlich ist das im Ermittlungsverfahren eingeholte Gutachten, sofern darin eine (strafbare) Falschbehandlung verneint wird, ein zusätzliches Argument für die Behandlerseite bzw. den zuständigen Haftpflichtversicherer, eine freiwillige Schadenregulierung abzulehnen. Auch ist es nicht sehr wahrscheinlich, nach einer für den Patienten negativen Begutachtung im Ermittlungsverfahren doch noch ein insoweit positives Gutachten erstattet zu bekommen; denn für diesen Fall müsste sich der Gutachter sowohl gegen den verantwortlichen Arzt als auch gegen den Sachverständigen im Ermittlungsverfahren aussprechen.

Endet das Ermittlungsverfahren indes in irgend einer Form damit, dass der verantwortliche Arzt belangt wird (Einstellung gegen Geldbuße; Strafbefehl; Strafurteil), so liefert dieser Umstand wiederum ein Argument für so manchen Versicherer, aber durchaus auch für ein angerufenes Zivilgericht, das Schmerzensgeld mit dem Hinweis darauf niedriger zu bemessen, dass dem geschädigten Patienten durch den Ausgang des Strafverfahrens im gewissen Maße bereits Genugtuung widerfahren ist. Das Schmerzensgeld soll nämlich u.a. genau diesem Zweck dienen. Auch diese mögliche Konsequenz muss bedacht werden, wenn über die Frage einer Strafanzeige bzw. eines Strafantrages, zumeist in der ersten Zeit nach dem Zwischenfall, nachgedacht wird.

 
 
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